Aus der beliebten Reihe „Cthuloide Referenzen in …“ (bisherige Teile: Kingdom of Loathing, The Elder Scrolls und Zamonien). Diesmal: Magic, das beliebteste Trading Card Game der Welt. Disclaimer: Es gibt weit über 14.000 Magic-Karten, und meine Gathererfestigkeit lässt in den letzten Jahren zu wünschen übrig. Ich komme noch ca. 3 Mal im Jahr zum Spielen – und Anlass dieses Artikels ist, dass eine dieser Gelegenheiten an diesem Wochenende kommt. Wie immer bei den Referenzen gilt: Es ist schwer abzugrenzen, wo bewusst angespielt wird, wo zufällig Parallelen entstehen und wo solche vielleicht nur in meinem Kopf existieren. Daher bin ich für Ergänzungen, Korrekturen und Co. sehr offen und dankbar!
Was ist MtG?
Magic: The Gathering ist eines der ältesten und das mit Abstand populärste TCG (Trading Card Game) der Welt, erscheint in mindestens 11 Sprachen und verzeichnet über 10 Millionen aktive Spieler. Magic gilt als nerdiges Hobby verschrobener Typen, also passe ich gut ins Spielerprofil und oute mich hiermit. In 14.000 verschiedenen Karten, die seit 1993 gedruckt wurden, gibt es kaum einen Bereich der Fiktion, der nicht schon umfassend Pate stand für Story und „Flavor“ von Karten oder ganzen Erweiterungen.
Wo kommt der Mythos vor?
- Für Rise Of The Eldrazi und die Eldrazi allgemein standen, laut Aussage des R&D-Chefs Mark Rosewater, HPLs Geschichten, Themen und vor allem Kreaturen Pate. Die Eldrazi sind gottartige Wesen, die zwischen den Sphären leben und nur inkarnieren, um sich zu ernähren. Insbesondere der Eldrazi Emrakul erinnert an eine Mischung aus Azathoth, Cthulhu und dem fliegenden Spaghettimonster:
- Grimoire of the Dead: Dieses Buch ist eindeutig eine Necronomicon-Anspielung. Das Abwerfen von Karten zum „Studium“ ist die mechanische Entsprechung von Vergessen – oder aber langsamem Wahnsinn …
- Marit Lage, das Monster, das in dem Land Dark Depths schlummert, ist eine kleine Cthulhu-Referenz – das Monstrum taut auf und taucht auf …
Philosophischer Schlussgedanke
Im Zentrum von Lovecrafts kosmischem Horror steht ja die Irrelevanz des Menschen angesichts der ungreifbaren, unbegreifbaren Welt um ihn. Lovecraft drückt das durch gottähnliche Wesen aus, weil das wohl einem mythisch denkenden menschlichen Verstand entgegen kommt; als materialistischer Atheist sagte er damit implizit aber auch jedes Mal: „So, wie meine Protagonisten sich das erklären, ist es natürlich nicht – es gibt keine Yog Sothoth, es gibt nur Umstände, die uns verrückt machen, und das nennen wir Yog Sothoth.“ Das funktioniert in der Literatur so einigermaßen, auf der Leinwand schon seltener und in einem Spiel wie MtG fast gar nicht. Zwei Gründe fallen mir ein:
- In Magic geht es um „Helden“ (unabhängig von deren moralischer Ausrichtung). Mark Rosewater hat die „Hero’s Journey“ für eine griechisch-mythologisch inspirierte Erweiterung als Grundprinzip einer Mechanik bestätigt, aber eigentlich geht die Parallele noch viel weiter. Jeder Spieler ist ein sich entwickelnder Held, ein Planeswalker, der zwischen den Welten wandelt und den Kreaturen dieser Welten überlegen ist (auch wenn sie ihn töten können). Der Spieler ist ein Magier, der das ganze Multiversum formen kann. Und gerade als Kontrollspieler weiß man, dass man durch eine schwierige Aufbauphase gehen muss, um dann als wahrer Held das Spiel zu kontrollieren und zu gewinnen. Die Storys rund um Magic drehen sich ebenfalls um teils gottgleiche, teils als Gott verehrte Planeswalker. Das geht kaum mit der Machtlosigkeit der Lovecraft’schen Protagonisten einher.
- Magic ist ein Spiel mit festen Regeln. (Die Comprehensive Rules haben inzwischen etwa 200 PDF-Seiten.) Innerhalb eines solchen Rahmens ist es sehr, sehr schwer, den chaotisch-regelzersetzenden Charakter cthuloider Monstren zu simulieren; darstellen kann man ihn sowieso nicht.
Was meint ihr? Haben die Magic-Macher zumindest Ton und Atmosphäre des Mythos gut einfangen können – oder mussten sie daran scheitern und hätten die Finger davon lassen sollen?
Copyright Coverbild: Wizards of the Coast.